Dem Prototyp des Tesla Cybertrucks warf Elon Musk einst die Panzerglasscheiben kaputt. Jetzt werden die ersten Serienexemplare ausgeliefert
Nichts als Probleme hat sich Elon Musk mit seinem mutigen Entwurf eines futuristischen Pick-up-Modells eingehandelt. Aus den Erfahrungen mit einem früheren Edelstahlauto könnte er lernen, wie er aus dem kantigen Fahrzeug noch ein Kultobjekt formen kann.
Schlimmer hätte die Geschichte mit dem Cybertruck von Tesla gar nicht beginnen können. Stolz präsentierte Elon Musk im November 2019 auf grosser Bühne ein Fahrzeug, das die Welt überraschte. Von diesem kantigen und flächigen Pick-up-Modell mit Panzerglasscheiben, natürlich vollelektrisch, war vorab nichts durchgesickert. Doch dann schien der visionäre Firmenchef fast ein wenig übermütig und bewarf die Seitenscheiben mit Stahlkugeln. Die Einschläge hinterliessen jedoch tiefe Krater und Risse im Panzerglas – der Showeffekt ging nach hinten los.
Den Tesla-Fans war dies egal, sie schauten über das kleine Malheur hinweg und begannen, den Cybertruck vorzubestellen. Bis zu 1,7 Millionen solcher Vorregistrierungen mit einer Anzahlung von jeweils lediglich 100 Dollar sollen nach Tesla-Angaben eingegangen sein. Schliesslich sollte der grosszügig bemessene Truck schon 2021 auf den Markt kommen, zu Preisen ab 40 000 Dollar. Ein Schnäppchen.
Danach wurde es still um das futuristisch gestaltete Fahrzeug mit der sehr flachen Frontscheibe und den schräg nach hinten abfallenden Ladeflächen-Seitenteilen. Nicht nur Experten machten sich Gedanken, wie ein solches Gefährt ohne nennenswerte Stossfänger und scharfe Kanten an allen Seiten überhaupt eine Typengenehmigung erhalten würde. Zu gefährlich schien der Wagen insbesondere im Bereich des Fussgängerschutzes. Zudem fehlen eine vordere Knautschzone, ausreichende Scheinwerfer und Seitenspiegel.
Tesla durchlief eine Aneinanderreihung von Krisen
Elon Musk hatte wenige Wochen nach der Vorstellung des Prototyps allerdings ganz andere Probleme. Erst gab es die sogenannte «Produktionshölle» bei der Umsetzung der Massenproduktion für den äusserst populären Tesla Model 3. Zu viele kleine Schwierigkeiten bei der möglichst raschen Fertigung des elektrischen Kompaktwagens kamen auf einmal. Die Branche zeigte hämisch auf einen noch als kalifornisches Startup angesehenen neuen Autohersteller, der in rascher Abfolge harte Erfahrungen mit Zulieferern, Fertigungsmaschinen und aufmüpfigen Mitarbeitenden machte. Es sollte Musk mit seiner disruptiven Elektroautomarke nicht besser gehen als den arrivierten Autobauern.
Tesla überwand die Krise jedoch und schaffte erstmals den Sprung in die Profitabilität. Das Model 3 entwickelte sich rasch zur Alltagserscheinung und war im Strassenverkehr öfter anzutreffen als der gute alte VW Golf. Dann aber setzte im Februar 2020 die Pandemie ein und legte erst einmal die Arbeit bei den Zulieferern und in den eigenen Produktionshallen für rund sechs Monate lahm. An die Weiterentwicklung des Cybertruck für die Serienproduktion war erst einmal gar nicht zu denken.
Kaum war das Covid-Problem «durchgeseucht», folgte die Halbleiterkrise. Für einen Hersteller von Elektroautos wie Tesla mit teilweise ausgeklügelter Elektronik bedeutete diese Entwicklung einen weiteren herben Rückschlag, auch wenn Elon Musk stets betonte, man habe das Problem im Griff und fertige teilweise eigene besonders leistungsfähige Chips. Gerade für den batterieelektrischen Cybertruck, der wie die anderen Fahrzeuge mit Systemen zum automatisierten Fahren ausgerüstet werden soll, ist genügend verfügbares Halbleitermaterial unabdingbar.
Nun also hat Musk einen festen Auslieferungstermin für die ersten Serienexemplare des «Pick-ups aus der Zukunft», wie man den Truck mit der Raumschiff-Karosserie nennen könnte. Ob die verschiedenen misslichen Umstände – zu weiches Panzerglas, Covid und Chipmangel – zur Verzögerung um zwei Jahre bis zur Herstellung geführt haben, bestätigt der Tesla-Chef nicht. Gegenüber Analysten erklärte er jedoch diese Woche halb im Scherz, dass sich Tesla mit dem Cybertruck sein eigenes Grab geschaufelt habe.
Daran könnte tatsächlich etwas dran sein, auch wenn heute niemand mehr an einen vorzeitigen Untergang des Autoherstellers Tesla glaubt. Doch es gibt gewisse Parallelen zu einem früheren Autobauer, der mit seinem Glauben an die Zukunft letztlich scheiterte. Der aus Detroit stammende John DeLorean war in den 1970er Jahren durch den Bau von amerikanischen Muscle-Cars wie dem Pontiac Firebird bekannt geworden und machte sich 1975 daran, mit einer eigenen Firma das für damalige Zeit futuristisch gestaltete zweisitzige Sportcoupé DeLorean DMC-12 auf den Markt zu bringen. Es war ähnlich flächig gestaltet wie der Tesla Cybertruck und fiel durch seine grossen Flügeltüren auf.
Die Gestaltung des Fahrzeugs stammte von Giorgetto Giugiaro, der die Karosserie ursprünglich für den koreanischen Hersteller Hyundai konzipiert hatte und den Entwurf quasi secondhand an DeLorean verkaufen konnte. Das Chassis entwickelte in nur wenigen Monaten der britische Sportwagenbauer Lotus, da andere Hersteller wie Porsche lieber die Finger von diesem mit der heissen Nadel gestrickten Serienauto lassen wollten. Gefertigt wurden zwischen 1981 und 1982 rund 9000 Exemplare in einer Fabrik in Nordirland.
Eine Produktionshölle gab es schon vor 40 Jahren
Doch technisch war der Wagen nicht ausgereift. Er sah zwar ansprechend aus, war mit seiner Edelstahl-beplankten Kunststoffkarosserie und 1,3 Tonnen Leergewicht aber zu schwer für den schwachbrüstigen Vierzylindermotor mit 132 PS. Er konnte damit nicht die sportlichen Fahrleistungen erbringen, die das Erscheinungsbild des Zweisitzers erhoffen liessen.
Hinzu kamen Qualitätsprobleme bei den ausgelieferten Wagen. Oft passten die Glasfaserteile nicht recht, noch öfter streikte der elektrische Mechanismus zur Öffnung und Schliessung der Flügeltüren. Der Motor überhitzte nicht selten, und die Klimaanlage fiel immer wieder aus. Wäre DeLorean nicht 2005 im Alter von 80 Jahren verstorben, würde er heute von seiner ganz eigenen Produktionshölle sprechen. Letztlich schaufelte sich die Firma DeLorean Motor Company mit dem DMC-12 das eigene Grab.
Eine wundersame Wendung erfuhr das Schicksal des Flügeltürers jedoch durch eine Filmreihe. In «Zurück in die Zukunft» wird ein DeLorean als fahrende Zeitmaschine eingesetzt. Es kam hier nur auf das Aussehen des Wagens an, die Qualität und die Fahrleistungen traten in den Hintergrund des Interesses. Auf diese Weise hat die breite Öffentlichkeit vom DMC-12 Notiz genommen und ihn zum automobilen Kult erhoben.
Dass dieser Ruhm auch dem Tesla Cybertruck zuteilwird, ist aufgrund der auffälligen Gestaltung des Elektro-Trucks nicht auszuschliessen. Wie der DeLorean verfügt der Wagen über Paneele aus Edelstahl. Zum Kultauto könnte der Pick-up aufgrund der treuen Fangemeinde ohnehin werden. Allerdings müsste dann aber von Anfang an auch die Qualität des Produkts stimmen. Und hier gibt es zunächst noch Zweifel, da immer wieder von Schwierigkeiten bei der Herstellung des Cybertruck zu hören war.
Wie etwa das «Handelsblatt» berichtete, erwähnte ein Tesla-interner Bericht von Anfang 2022 eine ganze Reihe von Problemen am Serienfahrzeug, weshalb die Lancierung immer wieder hinausgeschoben wurde. Angeblich soll der Wagen beim Fahren ruckeln, eine schwergängige Lenkung aufweisen und im Innenraum für grosse Lärmentwicklung sorgen, da die Karosserie aufgrund ihrer Fertigungsweise viele undichte Stellen aufweise. Zweifel regen sich auch ob der riesigen flachen Edelstahl-Paneele und der überdimensionierten Frontscheibe, die insbesondere bei Fahrten durchs Gelände und den dabei zu erwartenden Verdrehungen der Karosserie (man spricht auch von Verwindung) besonders standhaft sein sollten.
Neuste Videos auf X suggerieren zudem, dass der Cybertruck selbst im leichten Gelände mit der Traktion an Steigungen zu kämpfen hat. Quietschende und durchdrehende Räder sind zu sehen und vor allem zu hören.
Tesla Cybertrucks being tested off-road at Hollister Hill RSVA ! 🏜️ pic.twitter.com/abKyBRLLLZ
— Dima Zeniuk (@DimaZeniuk) October 23, 2023
Wenn die ersten Cybertruck-Fahrzeuge am 30. November tatsächlich ruckelfrei zu den Kunden rollen, dürften die meisten Probleme aus dem vertraulichen Tesla-Dokument ausgemerzt sein. Der Hersteller ist durchaus in der Lage, die Qualität seiner Produkte deutlich zu steigern, wie er dies mit den bisherigen Modellen bewiesen hat.
Doch anders als bei den ersten Modellen wie dem Tesla Roadster von 2008 und dem Model S von 2012 ist der Hersteller diesmal nicht mehr Pionier. Firmen wie Ford mit dem F-150 Lightning, Chevrolet mit dem Silverado EV oder Rivian mit seinem R1 haben bereits grossformatige Pick-up-Modelle mit Batterieantrieb am Start, die sich in den USA schon grosser Beliebtheit erfreuen. Hier muss Tesla mehr bieten. Wie die jüngere Vergangenheit zeigt, macht Musk dies vor allem mit einem gezielt eingesetzten Mittel: dem Tiefpreis.
Author: Charles Adams
Last Updated: 1702420803
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